Jedes Wort hat seinen Tag
Jedes Wort hat seinen Tag
»TALK. Show – Die Kunst der Kommunikation in den 90er Jahren«, Von der Heydt-Museum, Wuppertal 1999
Pressemitteilung zur Ausstellung
Der Ausstellungstitel ist ein populärer Begriff aus der Welt des Fernsehens. Seine wörtliche Übersetzung erschließt die Dimension, die für die Ausstellung von zentraler Bedeutung ist: Sprechen. Zeigen. 24 zeitgenössische Künstler beschäftigen sich mit dem Thema Kommunikation, mit Gelingen und Scheitern der Verständigung zwischen Menschen heute. Gezeigt wird ein Spektrum von Arbeiten der neunziger Jahre aus den Bereichen Malerei, Skulptur, Medienkunst und Rauminstallation. Einen Schwerpunkt bilden Kunstwerke, die die akustische Dimension der Sprache einsetzen. Ein Drittel der Arbeiten ist eigens für die Ausstellung entstanden.
Die Verbildlichung von Sprache spielt in der Kunst des 20. Jahrhunderts eine wesentliche Rolle. Als Metaphern für den lärmenden Großstadtalltag und als lautstarker Protest gegen die politischen Verhältnisse fanden Wörter und Texte Einzug in die Collagen und Montagen der Kubisten (Georges Braque, Pablo Picasso), Dadaisten (Marcel Duchamp, Kurt Schwitters) und Surrealisten (René Magritte, Max Ernst). Nach dem Zweiten Weltkrieg setzten sich vor allem Pop Art (Roy Lichtenstein, Andy Warhol) und Konzeptkunst (Joseph Beuys, Bruce Nauman) mit dem Vorgang des Sprechens und Mitteilens in einer von der Massenkommunikation beeinflußten Gesellschaft auseinander.
Hielten frühere Kunstrichtungen die logische Kommunikation meist für selbstverständlich, so dominiert heute eine skeptische Grundhaltung gegenüber sprachlichen Äußerungen und Kommunikationsformen. Sprache interessiert nicht als geschlossenes ikonografisches System. Im Spiegel unterschiedlichster Medien wird die Vielfalt ihrer Ausdrucksmöglichkeiten neu überprüft.
Was etwa wäre, wenn die Bilder in den Museen plötzlich anfingen, mit den Besuchern zu reden? Die Gemälde von Rémy Zaugg sind keine stummen Zeugen, sondern fordern den unmittelbaren Kontakt. Sprachliche Formulierung und Farbwirkung gehen zum Teil widersprüchliche Verbindungen ein. Das gesprochene Wort ist unberechenbar. Auch die Wandarbeit von Thomas Locher bricht mit den Konventionen des Tafelbilds. Unbarmherzig wird das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland befragt. Der individuelle Standpunkt ist gefordert. Speziell für TALK. Show hat Adib Fricke ein Ausstellungsleitsystem geschaffen, das aus Raumbezeichnungen und den Beschriftungen der ausgestellten Einzelwerke besteht. Fricke benutzt Praktiken der Werbebranche. Gleichermaßen hinterfragt er das Kommunikationsdesign innerhalb einer Ausstellung. Was ist das Werk ohne sein Label?
Die dramatische Welt der Filmtelefonate ist der Ausgangspunkt für die Videoarbeit von Christian Marclay. Ihm geht es weniger um Filminhalte, sondern um die Bedingungen eines Mediums, seine Mechanismen, Rituale und Fetischisierungen. Mit der Allmacht der Fernsehpriester beschäftigt sich Christian Jankowski. In seiner inszenierten TV-Kommunikation verschränken sich Hellsicht und Unverständnis. Hinterfragt wird die Wahrhaftigkeit der Medienwelt. Mit den Orten öffentlicher Kommunikation befaßt sich auch Heimo Zobernig. Aus dem Zusammenhang genommen und in mehrfacher Brechung seziert der Künstler den diktatorischen Anspruch unterschiedlicher medialer Ankündigungsstrategien und ihr Versagen.
Mit Grenzbereichen des Kommunikationsprozesses beschäftigt sich auf ganz andere Weise Yana Milev. Das Auf- und Abblenden ihrer rätselhaften Botschaften veranschaulicht die Ambivalenz von eindeutiger und zugleich offener Mitteilung.
Die Videoskulptur von Tony Oursler definiert eine Art Haut, an der sich Kommunikation bricht und verfügbar macht. Die Individualität der beiden gezeigten Wesen verschwindet hinter einer Sprache, die nicht die ihre ist.
Das Künstlerduo Clegg & Guttmann untersucht Kommunikation mit den Methoden der visuellen Soziologie. Ihre Installation Vérité ist wie ein Archiv zu benutzen und fungiert als Porträt der Mediengesellschaft.
Mit Symbolwerten der Unterhaltungsindustrie beschäftigt sich Pietro Sanguineti. Für die Ausstellung in der Film- und Fernsehstadt hat er eine Bühnenskulptur entworfen, die selbst eine Kommunikationsstruktur darstellt: Farben, Formen, Materialien und Mobiliar stehen für Stimmungslagen und Gefühlsebenen. Das Versprechen von Authentizität und sinnlicher Präsenz bleibt funkelnder Schein. Auf dieser Bühne finden während der Ausstellung zahlreiche Begleitveranstaltungen statt. Alle Veranstaltungen und die genauen Termine sind auf einem gesonderten Blatt aufgeführt, das ab Ende September erhältlich ist.
Christine Hill etwa stellt hier ihr neuestes Projekt Tourguide? vor, bei dem sie als eine Fremdenführerin eigenwillig durch die vielsprachige Metropole New York führt. Auch die Diskussionsveranstaltungen von Hinrich Sachs verstehen sich als soziale Skulpturen. Sie unterscheiden sich von normalen Talkshows durch einen reflektierten Umgang mit der öffentlichen Selbstinszenierung und der Formalisierung des Sprechens.
Das künstlerische Ausgangsmaterial der Videoarbeiten von Daniel Pflumm bilden Nachrichtensendungen und Trailer der Produktwerbung. Die starren Dogmen sind aufgelöst und werden mit einem neuen Rhythmus reanimiert.
Eine exklusive Expertenrunde hat das Künstlerduo M+M zusammengestellt. Zwölf Marias der Welt- und Kulturgeschichte antworten auf die Frage: »Wie entgehen wir der Sintflut?« Die historisch verbürgten Antworten sind über das öffentliche Telefonnetz abrufbar.
Der groteske Dialogue von Mike Kelley läßt Erinnerungen an früheste Kindheitstage aufleben. Er vereint das Erbarmungswürdige und das Erbärmliche unserer Kommunikation. In den Joke Paintings von Richard Prince spiegelt sich das fragwürdige Bild von Normalität, wie es Witze, Grundelemente unserer Alltagsverständigung, transportieren.
30 Jahre Fernseherfahrung bilden den Rahmen für die schrillen und farbenprächtigen Selbstinszenierungen von Pipilotti Rist. Vergeblich schreit und fleht die Protagonistin ihres Videos um Hilfe und versucht, das Gefängnis der Emotionen und Phantasien zu verlassen. Im Rahmen von Ausstellungsereignissen Kommunikation auszulösen, ist das Anliegen von Rirkrit Tiravanija. Er hat in der Ausstellung Telefone installiert, die unbekannte Besucher miteinander ins Gespräch bringen können. Der Austausch selbst bleibt jedoch von der Einsatzbereitschaft des Einzelnen abhängig.
Um die gemeinsamen Strukturen von Text und Textilien geht es Eran Schaerf. In seiner Arbeit untersucht er die kommunikativen Signale der Kleidung, die sogenannten Dress-Codes als entscheidende Parameter der Mitteilung.
Die Installation von Janet Cardiff besteht aus einem Holztisch mit unsichtbaren Sensoren. Beim Berühren der Oberfläche raunen Stimmen den Besuchern Geheimnisse zu.
Mit der Mehrfachlesbarkeit des sprachlichen Ausdrucks beschäftigt sich Hirsch Perlman und stellt die Übereinstimmung von Gezeigtem und Bezeichnetem in Frage.
Sam Taylor-Wood schließlich setzt sich mit dem Gelingen und Scheitern unmittelbarer Verständigung auseinander. Das gesprochene Wort und die nonverbale Kommunikation erweisen sich als gleichberechtigt, auch wenn die Präsenz der beiden Gesprächspartner neue Schwierigkeiten birgt.
—Dr. Bernhart Schwenk und Dr. Susanne Meyer-Büser, Kuratoren der Ausstellung
Pressemitteilung zur Ausstellung »Talk.Show« im Haus der Kunst, München