Joachim Schmid

Die Wörter, die Kunst
und das Eigentum

AVANZ

Hinz und Kunz, Schall und Rauch – das Ding braucht einen Namen. Das Benennen, Sprechen, Schreiben und Lesen macht den Unterschied zwischen einem Ameisenhaufen und einer Gesellschaft, die einen Baum Baum und eine klebrige Masse in einer bestimmten Form Snickers nennt. Sagt das Baby »Da-da«, freuen sich die Eltern; nun muß das Kleine bloß noch lernen, was man tut, was man läßt und wem was gehört, und wenn aus dem Gestammel später eine Relativitätstheorie geworden ist, bekommt der Urheber statt der Brust den Nobelpreis. Der gehört ihm dann ganz alleine, er kann damit tun und lassen was er will –, nur seine Ideen und deren Namen gehören jetzt uns allen, und wenn wir früher schön aufgepaßt haben, verstehen wir vielleicht sogar etwas davon.

In einem fein durchdachten System schulischer Erziehung versuchen kulturverpflichtete Spezialisten, uns allen nicht nur eine beachtliche Menge von Wörtern und Bedeutungen, sondern auch deren korrekte Schreibweise einzubleuen, und niemand käme auf die Idee, irgend jemand könnte das Recht an einem dieser Wörter ausschließlich für sich beanspruchen (von einigen eitel paranoiden Künstlern und Philosophen einmal abgesehen); nur als Allgemeingut können die Wörter funktionieren und überleben, ähnlich wie das kleine Einmaleins, das ja auch nicht Adam Riese gehört – sonst wäre wohl jede Rechenoperation gebührenpflichtig und darüber hinaus mit einem großen Riese-R im kleinen Kreis zu kennzeichnen. Und doch bleibt die exklusive Nutzung der Null eine verlockende Vorstellung – auf der ein Wirtschaftssystem mit dem Namen Kapitalismus basiert.

Die Eigendynamik dieses Systems bringt (unter anderem) unentwegt neue Wörter hervor und sorgt zugleich dafür, daß Wörter ihre Bedeutung ändern. Tempo zum Beispiel bezeichnet nicht mehr nur Geschwindigkeit, sondern auch ein Heft für schnelle Ideen- und Warenzirkulation und als Produkt name eines schnell zu gebrauchenden Hygieneartikels in hegemonischer Weise die gesamte Gattung der Papiertaschentücher. Ähnliches passierte mit dem urdeutschen Kohl, das nicht mehr nur die Gattung der Kreuzblütler bezeichnet (umgangssprachlich zugleich den blühenden Unsinn), sondern auch, nachdem das Wort als Familienname einer zeitgeschichtlich bestimmenden Person in Umlauf kam, unweigerlich deren Bild heraufbeschwört – und alles, wofür der Name sonst noch steht. Für einen Politiker mag ein solches Namensmißgeschick noch tragbar sein, in anderen Branchen wäre es zumindest hinderlich. Als die Fachleute in Hollywood den Rohstoff Norma Jean Baker in die Finger kriegten, veredelten sie im Zuge seiner Funktionalisierung nicht nur dessen Erscheinung (und damit auch die Persönlichkeitsstruktur), das Kind brauchte zum Erfolg noch einen marktfähigen Namen: Marilyn Monroe.

Für die Vermarktbarkeit eines Erzeugnisses sind keineswegs nur dessen Qualität, ein entsprechender Preis und eventuell gar ein Bedürfnis ausschlaggebend, sondern eben auch dessen Name: Man kann Nudeln nicht unter dem Namen Nudel verkaufen (nicht nur, weil mehrere um unsere Gunst konkurrierende verwechselt werden könnten, sondern auch, weil Birkel uns ein anderes Image liefert als Barilla), selbst rein pflanzliche Produkte benötigen ein Label, zumindest seit sie mit Hilfe von Agrarchemikalien erzeugt und erst recht seit sie gentechnisch verändert sind; bei Levis, Camel, Mercedes oder Apple sind Name und Produkt schon eins, Madonna schließlich ist nur noch Image. Namen für Produkte zu erfinden und sie mit verfeinerten Marktschreiermethoden exakt an der Stelle in unserem Gehirn festzubügeln, an der der Griff zum Portemonnaie gesteuert wird, ist eine der qualifizierten Tätigkeiten, für die einschlägig interessierte Kreise unsere Kreativen wirklich kaum zu hoch bezahlen können. Erstaunlich, fast paradox wirkt dabei auf den ersten Blick, daß diese umsatzträchtigen Wörter geradezu inflationär verbreitet werden – das kostbare Zeug geht auf uns nieder wie ein warmer, nie endender Konfettiregen. Doch offenbart der zweite Blick die ganze Perfidie, denn all diese schönen neuen Wörter tragen rechts oben hinter dem letzten Buchstaben als winzigen Schönheitsfleck ein R in einem kleinen Kreis, und dieses Zeichen weist darauf hin, daß das Wort einen Eigentümer und für diesen einen hohen Gebrauchswert hat, deshalb also nur mit Vorsicht zu genießen ist. Als registrierte Warenzeichen gehören die Wörter im Sinne des geistigen Eigentums zwar ausschließlich denen, die sie in Verkehr brachten, doch schafft erst ihr andauernder Gebrauch durch andere ihren Wert: Wir dürfen sie – scheinbar kostenlos – benutzen wie wir wollen, denn je öfter wir am Kiosk nach einer bestimmten Marke fragen, desto bedeutender wird mit ihrem Marktanteil ihr Name, und selbst die albernste Verballhornung sorgt immerhin für Zirkulation. Die Grenze des Erlaubten läßt sich in wenige Worte fassen: Wenn's um Geld geht – Finger weg.

In dieses eingespielte System der Namen-, Waren- und Geldzirkulation mischt sich nun The Word Company ein, doch will die neu gegründete Firma nicht nur im gewohnten Betrieb mitspielen, sondern zugleich auch dessen Regeln ändern. Ihr Alleininhaber Adib Fricke produziert und verkauft neue Wörter, mit denen deren Käufer – im Rahmen der allgemeinen Geschäftsbedingungen – tun und lassen können, was sie wollen; nur müssen sie das Nutzungsrecht an diesen Wörtern zuerst ein mal erwerben. Der registrierte Inhaber bestimmt dann selbst, ob und wie, wann und wo er sein Wort gebraucht. Genau genommen sind die Neologismen, die hier zum Verkauf stehen, nicht einmal Wörter, denn noch fehlt ihnen jede Bedeutung. Diese Halbfabrikate oder Protonyme, wie Fricke sie nennt, funktionsfähig zu machen, ist Aufgabe und Privileg des jeweiligen Inhabers. Im Gegensatz zu einer Agentur, die für ein bestimmtes Produkt den passenden Namen schöpft und das eine dann rechtswirksam und marktgerecht mit dem anderen verschmilzt, stellt The Word Company das Wort autonom an den Anfang; es kann, muß aber nicht auf etwas Bestimmtes übertragen werden. Ein solches Vorgehen ist zumindest – sagen wir – nicht branchenüblich, und das erklärt sich damit, daß Fricke aus einer anderen Branche kommt. Als mit Wörtern arbeitender Künstler verwendet er wohl denselben Rohstoff wie seine rein kommerziell motivierten Kollegen, doch entstehen und wirken solche Wortgebilde unter den Bedingungen und mit den Implikationen eines anderen Kontexts. Diesen Rahmen der zeitgenössischen Kunst versucht Fricke mit seinen Arbeiten immer wieder zu dehnen und zu ironisieren und kann ihm doch kaum entkommen, und so ist die Frage, ob das, was er jetzt mit The Word Company initiierte, mit einem unserer Kunstbegriffe vereinbar sei, diesen erweitere, sprenge oder aufhebe, ob es sich also in irgendeiner Weise mit dem, was wir als Kunst zu bezeichnen gelernt haben, in Verbindung bringen lasse, so banal wie obsolet. Interessant ist lediglich die Frage, ob es funktioniert oder doch wieder nur Kunst ist.

Wenn neue Wörter Eingang in die Sprache finden, so geschieht dies zumeist, wenn eine Sache, ein Sachverhalt oder eine Idee gerade etwas zu bedeuten beginnt und zu benennen ist, und mehrheitlich verdanken wir diese Neuheiten den klaren Interessen derer, die etwas zu bestimmen haben (wollen). Gleichgültig, ob eine Ideologie zu verbrämen, ein Produkt am Markt zu plazieren oder eine neue Kunst anzudienen ist, das Finden und Verbreiten eines Namens besetzt in Propaganda und Reklame (wie in der Kunstkritik) eine zentrale Position, und ist der Ruf erst einmal etabliert, werden die Leute den Scheiß schon glauben oder kaufen. Mit ihrem Gebrauch werden diese Bedeuter zwar Bestandteile der Sprache, doch da sie nicht aus ihr entwickelt sind, verschwinden sie auch wieder mit dem, was sie bezeichneten. Im Unterschied zu den (auch in der Kunst) bereits geläufigen Wortschöpfungen versucht The Word Company mit ihren neuen Kreationen jedoch keineswegs, ein neues Programm zu verkleiden, vielmehr wird sie in einem Bedeutungsvakuum aktiv. Sie produziert Wörter, die so klingen als ob, unsere Phantasie aktivieren und dann zappeln lassen und sich doch deutlich von phonetisch überzeugender und funktionell harmloser Dada-Lauterei und Mefferei abheben, indem sie einen direkten Bezug zur real existierenden Warenwelt herstellen.

Selbstverständlich ist die Idee des Warenzeichens auch im Refugium der Kunst längst keine Unbekannte mehr: Generationen von Künstlern haben ihre Namen mit ihrer Ware verknüpft, seit Albrecht Dürer sein AD wie ein Gütesiegel auf alles Selbstgemachte applizierte, und internationale Konzerne wie Jeff Koons, Inc. oder Mark Kostabi beweisen den Erfolg der neuzeitlich verfeinerten Strategie. Corporate Identity heißt hier Stil, und die Schöpfer eines Ismus sind im gleichen Maße für das Gelingen einer Kampagne verantwortlich wie die Künstler, die sie begründen und von ihr profitieren. Andy Warhol machte die Warenzeichen zu seinem Thema (und sich selbst wiederum zu einem Warenzeichen), ganze Hundertschaften vor und nach ihm haben sich die Niederschläge der Industriegesellschaft einverleibt – und signiert. In einem allerdings war sich die Gemeinde der konkurrierenden Namensinhaber bisher einig: Das ist Kunst! Was das Zeichen eines Künstlers trägt, bedarf eines besonderen Schutzes, und weil es so etwas ganz Besonderes, so gar keine gewöhnliche Ware ist, darf es auch nicht wie eine solche behandelt werden, vor allem nicht mit gewerblichen Absichten in Berührung kommen. Die gemeine Befürchtung des kommerziellen »Mißbrauchs« von Kunst läßt The Word Company ins Leere laufen, indem sie ihre Kunden geradezu zur kommerziellen Verwertung ermutigt. Während Kunst, wie wir sie kennen, nur noch hergestellt wird, um von Schokoladenfabrikanten gesammelt zu werden, lassen sich Frickes Schöpfungen problemlos als Logogramme auf Schokoriegel übertragen – nur kostet das eben extra, ganz wie im richtigen Leben. Daß die Wörter im Falle ihrer kommerziellen Nutzung unweigerlich in den Kreislauf der Auf- und Entwertung geraten, müssen wir im Interesse eines anständigen Profits in Kauf nehmen.

Solch trivialer Gebrauch ist keineswegs als abwegige Ausnahme, sondern im Ideal als Regel zu betrachten; denn eigentlich wird Frickes Arbeit erst vollendet, wenn ihre Käufer, die dadurch zu freien Mitarbeitern des Wörterherstellers werden, sie semantisch aufladen und in Umlauf bringen. Daß Betrachter und Käufer Bedeutung konstituieren, trifft irgendwie zwar auf alles zu – wir wissen, daß gerade in der Kunst Wesentliches sich in den dunklen Windungen des Gehirns und in den Hinter zimmern des Geschäfts abspielt –, doch fällt der Klientel hier eine tragende Rolle zu. Von ihrem Phantasie- und Energiepotential hängt letztlich ab, ob The Word Company zu den erfolgreichen Unternehmensgründungen gehören wird, und da die Kunden ja bereits durch ihre Kaufentscheidung ihr grundsätzliches Einverständnis mit dieser Entwicklung ausgedrückt haben, von der sie als Inhaber wieder zu profitieren hoffen, werden sie sich der Herausforderung stellen.

So könnte beispielsweise der Inhaber von Avanz sein Wort mit jeder Portion selbst gemachter Fusilli al pesto, die er seinen Freunden serviert, herzhaft-freudig durch die Küche rufen; nach kurzer Zeit wäre der Klang dieser Buchstabenfolge zumindest für alle in Hör- und Riechweite lebenden Mitmenschen mit diesem Gericht verbunden; beim Szene-Italiener wären statt Spaghetti al pesto nur noch Spaghetti Avanz zu bestellen, und zwar so laut und deutlich, daß alle Anwesenden es zur Kenntnis nehmen müssen; von hier aus würde sich Pasta Avanz wie ein Virus durch die Speisekarten der einschlägigen Lokale der Großstädte verbreiten, der Trend-Journalist eines Senders der Berlusconi-Kette würde die Novität bald in einem flotten Feature aus Little Italy in die Heimat re-importieren, und spätestens am Tag nach der Ausstrahlung könnten die Verhandlungen mit Barilla über industrielle Produktion und professionelle Vermarktung einer noch nie dagewesenen Nudel beginnen (ich stelle mir eine doppelt gedrehte Spirale vor, die eine gehörige Ladung Pesto aufnehmen kann; eine pasta-gerechte Modifikation des Namens wie Avanzetti wäre zu bedenken und gegebenenfalls gesondert zu honorieren). Steffi Graf würde den Namen nicht nur permanent am Rocksaum tragen, sie hätte fortan auch jeden Aufschlag mit einem laut gepressten Avanz zu begleiten sowie gemeinsam mit dem Inhaber des Wortes in einem Werbespot aufzutreten. Avanz würde der Renner des Jahres, beliebt nicht nur bei Tennisfans und Opel-Fahrern, sondern das in Kunstkreisen obligatorische Essen der ewigen Avantgarde; kleine Portionen Avanzetti müßten zu jeder Vernissage gereicht werden, und selbstredend hätten die Galeristen für dieses Zugeständnis an guten Ton und guten Geschmack fünfzig Prozent ihres Umsatzes an den Erfinder der Idee zu entrichten. Avanzi!

 

Veröffentlicht in The Word Company, Volume I, Edition Fricke & Schmid, Berlin 1995
© 1994 Joachim Schmid und Adib Fricke.