Christine Fuchs

Words they don’t teach you at school (TWC)

Ein Rechtsportrait von Adib Fricke 1

Namen sind Gäste der Wirklichkeit.
Lao-Tse*

Unsere Augen, Ohren und Nerven an kommerzielle Interessenten zu verpachten, ist fast das gleiche, wie wenn man die menschliche Sprache einem Privatunternehmen übergäbe oder die Erdatmosphäre zum Monopol einer Gesellschaft machte.
Marshall McLuhan**

 

Nach heutiger Rechtsauffassung sind die Wortarbeiten von Adib Fricke urheberrechtlich nicht geschützt. Sie teilen dieses Schicksal mit einigen ganz großen Werken der Kunstgeschichte: mit Marcel Duchamps Ready-mades, mit Joseph Beuys’ Erweitertem Kunstbegriff und mit Kunstrichtungen wie der Appropriation Art. Das Recht ist nicht in der Lage, diese Kunst rechtsbegrifflich zu erfassen – weniger weil es dies nicht will, sondern weil es dies mit den bisherigen rechtlichen Kriterien nicht kann. Hier zeigt sich ein Konflikt zwischen Kunst und Recht, der Tradition hat2 und zu dessen Lösung Strategien angeboten werden, die ebenfalls Tradition haben: Entweder macht das Recht die Künstler bzw. deren Werke dafür verantwortlich, daß diese nicht Kunst »im rechtlichen Sinne« sind, denn was sich nicht unter der rechtlichen Definition von Kunst subsumieren läßt, kann eben nicht geschützt werden, oder es geht der Sache nach und ändert, »aktualisiert«, den rechtlichen Begriff der Kunst.

Adib Fricke entwickelt neue Wörter, die er als Kunstwerke zum Verkauf anbietet und für die er urheberrechtlichten Schutz beansprucht. Was kauft man, wenn man ein Wort kauft? Das Wort oder das Papier, auf dem es wiedergegeben ist? Ohne Frage, das bedruckte Blatt Papier, ein Zertifikat als die materialisierte Form, in der das Wort erscheint. Worte als Sprache lassen sich nicht kaufen oder verkaufen. Ebensowenig können sie – als Sprachform – monopolisiert werden. Die Sprache gehört allen wie die Luft zum Atmen. Sie ist die Grundlage unserer Kommunikation. Jeder kann, darf und soll sagen, was er will. Der Gebrauch der Wörter ist frei. Es gibt keine staatlichen Reglementierungen für bestimmte Wörter, wohl aber gegenüber bestimmten Wortbedeutungen bzw. gegenüber inhaltlichen Aussagen. So darf das Wort »Auschwitzlüge« zwar grundsätzlich verwendet werden, aber nur in einem ganz bestimmten Aussagegehalt. Von der Auschwitzlüge darf man nur in der Weise öffentlich sprechen, daß das Leugnen der Verbrechen, für die der Name Auschwitz exemplarisch steht, das gleichzeitige Leugnen einer historischen Realität ist, und damit eben das Wort selbst eine Lüge ist.

Wenn also ein Wort als Sprache weder gehandelt noch monopolisiert werden kann und soll, so ließe sich doch zumindest die wirtschaftliche Verwertung eines neuen Wortes rechtlich regeln. Der Schutz neuer Wörter über die Eintragung als Markenzeichen soll hier außer acht bleiben. Eine solche Eintragung ist zeitaufwendig und teuer, und von einem Künstler kann, anders als von einem Namen- oder Markendesigner, nicht erwartet werden, daß er für den Schutz seiner Werke bezahlen soll. Schließlich ist es gerade der Sinn des Urheberrechts, geistiges Eigentum von Künstlern zu schützen.

Auf die Probleme, die der urheberrechtliche Schutz von Frickes Protonymen und aus Wörtern bestehenden Einheiten bereitet, hat Arthur Waldenberger bereits hingewiesen [Anm.: Text war in gleicher Publikation]. Dennoch bietet das Urhebergesetz einige Ansatzpunkte, die, würde man sie weiterentwickeln und um zeitgenössische künstlerische Methoden und Positionen ergänzen, zu einer befriedigenderen Lösung führen könnten.

Eine Copyright-Parallele bietet die Regelung zu musikalischen Werken, §24 Absatz 2 des Urheberrechtsgesetzes (UrhG – Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte). So darf ein musikalisches Thema nur eine sehr eng begrenzte Tonfolge mit einem früher geschaffenen Werk gemeinsam haben, sonst gilt es als Plagiat, und der ursprüngliche Urheber muß entschädigt werden. Läßt sich ein Wort wie ONOMONO nicht auch als Klangfolge erfassen? Und ist das als Literatur geschützte Anagramm3, das aus den Bestandteilen eines bestehenden Wortes neu gebildet wird, den Wortschöpfungen wie Fricke sie vornimmt, formal nicht sehr ähnlich? Bisher ist im urheberrechtlichen Sinne ein Wort alleine nicht ausreichend, um es als schützenswert zu betrachten: Ein einzelnes Wort ist noch keine Literatur, ein Stempelabdruck noch kein Bild, eine Wortmelodie noch keine Musik, und das Erfinden von neuen Wörtern ist keine künstlerische Disziplin. Doch was unterscheidet Ernst Jandls einzeiliges Gedicht rot, ich weiß, rot oder Gertrude Steins bekanntester Satz Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose von Frickes aus Wörtern bestehenden Einheiten wie In Words We Trust oder Protestantische Lust?

Vielleicht ist das Konzept von Fricke der juristischen Arbeitsweise zu ähnlich, als daß Juristen das (Er)Finden von Wörtern als künstlerische Gestaltung akzeptieren könnten. Schließlich stammen Worte wie »Geschmacksmustergesetz« oder »nichteheliche Mutter« aus ihrer Feder. Was Adib Frickes künstlerische Arbeit mit der juristischen verbindet, ist die Huldigung an das Wort. Doch im Gegensatz zu Fricke, dessen Wörter gerade keine Bedeutungen haben, also keine Begriffe sind, die etwas bezeichnen sollen und als solche »frei schweben«, geht es den Juristen um präzise Einordnungen von Bedeutungen sowie um Genauigkeit in der Abstraktion. Juristen sind Meister der Begriffe, ihre Aufgabe ist es, im Individuellen das Allgemeine zu erfassen und das Allgemeine auf das konkret Individuelle anzuwenden. Für ein Wort wie »Vertrag« gibt es ein Schema, das alle Verträge erfaßt, egal ob man ein Brot, ein Haus oder eine Aktie kauft, einen Anwalt beauftragt oder eine Ehe schließt, einen Blumenstrauß verschenkt oder seine Schuhe zum Schuster bringt. Das Wort hat – je nach Kontext, in dem es verwendet wird – eine eigene, situationsgebundene Bedeutung. Als Rechtsbegriff drückt es ein bestimmtes, klar definiertes Prinzip aus, das eine strukturelle Gemeinsamkeit innerhalb der verschiedenen Kontexte beschreibt.

Frickes Wörter dagegen haben keine solch eindeutige Funktion. Zwar können auch sie in den unterschiedlichsten Kontexten verwendet werden, ihnen kann aber, zumindest theoretisch, jede beliebige Bedeutung zugewiesen werden. Sie können Bedeutung erhalten und dann auch Gegensätzliches bedeuten, ohne daß eine der Bedeutungen falsch wäre. Diese Anarchie im Medium Sprache steht juristischem Denken diametral entgegen. Der Grund für die Verweigerung des Urheberschutzes für Frickes Wortschöpfungen liegt jedoch tiefer als es der unterschiedliche Umgang mit Wörtern und Bedeutungen zunächst vermuten läßt. Wenn das Urheberrecht Frickes Wörter nicht als schutzwürdige Werke im Sinne des §2 UrhG ansieht, so besagt dies nicht nur, daß dem Urheberrechtsgesetz ein veralteter Werkbegriff zugrundeliegt, sondern weist gleichzeitig auf eine Problematik hin, die sich aus der Inhaltlichkeit und Funktion juristischen Denkens ergibt.

 

Die Begrifflichkeit des Urheberrechts

Werke im Sinne des Urheberrechts sind persönliche geistige Schöpfungen. Gemäß §2 Absatz 1 des UrhG zählen zu den urheberrechtlich geschützten Werken u.a. Sprach- und Schriftwerke, Werke der Musik sowie der bildenden Kunst. Der Begriff der Schöpfung setzt im Bereich der bildenden Kunst einen ästhetischen Gehalt und eine individuelle Eigenart des Werkes voraus. »Jede persönliche geistige Schöpfung, insbesondere der bildenden Kunst, genießt uneingeschränkten Schutz.«4

Schöpfung

Unter dem Begriff der Schöpfung können auch die neuen Wörter EXPLOM und AVANZ von Fricke subsumiert werden. Fricke hat diese Wörter, die es vorher noch nicht gab, entwickelt. Daher kann auch im Rechtssinne von einer »Wortschöpfung« gesprochen werden. Diese Wortschöpfungen können in einer gewissen künstlerischen Gestaltungstradition, z.B. der der Namensfindung in der Literatur, gesehen werden.5

Geistiger Gehalt

Der geistige Gehalt eines Wortes wie MIPSEL oder SMORP liegt in der Wortschöpfung selbst. Er ist dem geistigen Gehalt der Namen vergleichbar. Aus der Literatur ist die Bedeutung eines Namens als konzentrierter Ausdruck einer Romanpersönlichkeit bekannt. Auch Namen sind Worte ohne Bedeutung, deren Inhalt im sprachlich Atmosphärischen oder im Geistigen liegt. Namen sind im Gegensatz zu den bezeichnenden Wörtern der Sprache nicht an eine konkrete Person oder Sache, nicht an einen Namensträger gebunden.6 Namen existieren unabhängig von den Menschen, die sie tragen. Unterschiedliche Personen können Träger eines gleichen Namens sein; der verweisende Charakter der Namen (z.B. Ernst Richter ist diese konkrete Person) entsteht erst durch den Akt der Namensgebung. Bei den Wörtern ohne Bedeutung ist es ähnlich. Das Protonym MINGIS könnte als Frauenname genutzt werden wie Gertrud oder Annegret. Der geistige Gehalt der künstlerischen Arbeit enthält zudem konzeptuelle Elemente. Das jeweilige Wort-Werk ist gleichzeitig Teil einer weiteren künstlerischen Arbeit von Fricke, The Word Company (TWC).

Die gestalterische Reduktion einer künstlerischen Arbeit, die sich auf das (Er)Finden neuer Wörter konzentriert, zugunsten eines künstlerischen Konzepts, das die Stellung der bzw. die Umgehensweise mit den einzelnen Wörtern in verschiedenen gesellschaftlichen Systemen, wie z.B. dem System Recht, untersucht und darüber eine Fortschreibung der Wörter intendiert, ermöglicht zudem eine Kommunikation einander wesensfremder Denk- und Sprachsysteme. Beispiel: Die Erörterung rechtlicher Fragen zum Urheberrechtsschutz ist nicht nur die Fortschreibung von Frickes Wörtern, sondern gleichzeitig eine Darstellung des Rechts innerhalb des »Systems Kunst«. Diese Kommunikation setzt die »Mitarbeit« von Vertretern anderer Systeme, z.B. Juristen, voraus. Sie ist in dieser Form nur deswegen möglich, weil die Wortwerke von Fricke sich eines Mediums bedienen, mit dem diese Systeme ebenfalls arbeiten und weil sie gleichzeitig als Wörter ohne Bedeutung so »frei« sind, so wenig inhaltliche Vorgaben machen, daß sich die jeweils anderen Systeme selbst an ihnen darstellen können. Verschiedene »Systeme« miteinander kommunizieren zu lassen ist eine in dieser Form neue, künstlerische Arbeitsweise, die in einer gewissen Tradition der Avantgarde steht. Sie versucht – quasi methodisch oder strategisch – eine Verknüpfung von Kunst und anderen Lebensbereichen herzustellen. Früher wurde dies »Kunst und Leben miteinander zu verbinden« genannt.7

Ästhetischer Gehalt

Der ästhetische Gehalt der Wörter liegt im Wort- bzw. Sprachklang und wird auf der bildnerischen Ebene durch die von Fricke verwendete typografische Erscheinungsweise, z.B. in der Form eines Stempelabdrucks, ergänzt.

Form

Bei einem Namen kann bereits der Wortklang als Körper und damit als Form bezeichnet werden. »Der Name ist der feinste Körper, in dem geistiges Wesen erscheint.«8 Bei Frickes Wörtern besteht die äußerlich erkennbare Form aus einer Buchstabenfolge. Diese ist die schriftliche Übersetzung des phonetischen Wortklangs, sie fixiert und konkretisiert das Wortwerk. Diese Form wird ergänzt durch die äußeren Erscheinungsformen des Stempelabdrucks, des Offsetdrucks oder der Klebefolie, die das Wort zum Bild machen.

Individualität

Die Individualisierbarkeit von Frickes Wörtern ergibt sich aus der Art und Weise, wie diese entwickelt werden. Aus den Entstehungsprozessen, in denen eine Vielzahl von Entwürfen geprüft, verworfen, weiterverarbeitet und ergänzt werden, kann auf eine Gestaltungsintensität geschlossen werden, die eine gestalterische Qualität der einzelnen Wörter begründet und ein zufälliges Finden der gleichen Wörter durch andere Personen mit allergrößter Wahrscheinlichkeit ausschließt. Wäre die Kunst des Worte-Entwickelns eine geläufige künstlerische Disziplin, die z.B. an Akademien gelehrt würde, so könnten individuelle Prägungen der einzelnen Wortschöpfer besser erkannt werden. Aus dem Umstand, daß Frickes Wortschöpfungen als künstlerische Arbeit relativ selten sind und es daher keine Vergleichsmöglichkeiten gibt, die eine individuelle Prägung belegen, kann nicht geschlossen werden, daß es solche Prägungen nicht gibt.

Gestaltungshöhe

Aus den Entstehungsprozessen kann gleichzeitig auf das urheberrechtlich notwendige Maß der Gestaltungshöhe geschlossen werden. Selbst wenn Fricke ausschließlich Computerprogramme für die Gewinnung neuer Wörter zu Hilfe nehmen würde, wählte er ja in einem solchen Fall aus mehreren hundert oder tausend Vorschlägen nur wenige brauchbare Vorschläge aus, die dann noch individuell ergänzt oder modifiziert und zu einem für Fricke akzeptablen Ergebnis geführt werden. Und schließlich sind die Wortschöpfungen in das künstlerische Gesamtkonzept der Arbeit The Word Company eingebunden. Daher sind weitere Indizien für die Gestaltungshöhe die Form der Präsentation der Wörter im Rahmen von TWC sowie die Kontinuität des künstlerischen Arbeitsprozesses.

Gerechtigkeit ist Gleichheit im Recht. Ein Recht, das einem zusteht, steht allen zu. Gewährte man Fricke für das Bilden neuer Wörter urheberrechtlichen Schutz, so müßte dieser Schutz nach bisheriger Rechtsauffassung allen anderen, die neue Wörter (er)finden, ebenfalls zustehen. Unsere Gesellschaft verfügt bereits über einen ausreichenden Wortschatz, daher wäre der Schaden für die Allgemeinheit in diesem Fall nicht sonderlich groß. Aber schon ganz anders stünde es bei den Ready-mades von Marcel Duchamp. Könnte ein jeder einen beliebigen existierenden Gegenstand rechtsverbindlich zur Kunst erklären, mehrere Menschen vielleicht sogar den gleichen Gegenstand zu ihrem Kunstwerk, so würde über ein gewährtes Urheberrecht der Warenaustausch, die Weiterverarbeitung und der Warenverbrauch gefährdet und unser ökonomisches System könnte innerhalb weniger Tage zusammenbrechen.

Diese Vorstellung klingt konstruiert und absurd, da wohl kein Künstler auf die Idee käme, Duchamps Ready-mades zu wiederholen (außer Elaine Sturtevant, deren künstlerisches Konzept genau diese Fragestellung mit beinhaltet) oder Urheberschutz für einen ICE zu beanspruchen oder Schokolade in lila Papier als neues Multiple zu deklarieren. Kein Kunstwissenschaftler käme auf die Idee, nachfolgende Ready-mades mit denen von Duchamp vollkommen gleichzusetzen oder willkürlich zu behaupten, der Sportwagen MG B, Farbe: britisch racing green, müsse als neue künstlerische Position im Museum ausgestellt werden. Doch worin unterscheiden sich Duchamps Ready-mades von bloßen Kopien, und wie wäre dieser Unterschied rechtlich zu erfassen?

Angesichts der neueren Kunstentwicklung sind zwei Hürden zu nehmen. Die erste ist die zunehmende Theoretisierung und Konzeptualisierung der Kunst, die es rechtsbegrifflich zu erfassen gilt, die andere ist das auf sie anzuwendende Gleichheitsprinzip. Ließe sich sachlich objektivierbar begründen, daß und warum Duchamps Ready-mades Kunst sind, alle anderen industriell gefertigten Produkte dagegen nicht, und gäbe es Kriterien, um den Erweiterten Kunstbegriff von Joseph Beuys, den er selbst sein größtes Kunstwerk nannte, als Kunst identifizierbar zu machen – und zwar ohne daß sich gleichzeitig alle anderen auf den Satz »Jeder Mensch ist ein Künstler« berufen könnten–, dann ließen sich diese künstlerischen Positionen als Kunst erfassen und schützen. Wenn es also gelänge, bereits die Entwicklung eines bestimmten künstlerischen Ansatzes oder die Entwicklung eines Kunstbegriffs als schöpferische Gestaltungstätigkeit identifizierbar zu machen und als »künstlerische Konzeption«, die sich materialisiert, rechtlich zu berücksichtigen, und wenn sich darüber hinaus noch begründen ließe, daß die künstlerische Innovation gerade in der Entwicklung dieses »konzeptuellen Ansatzes« bestünde, daß also Duchamps Ready-mades ebenso unwiederholbar sind wie die Mona Lisa, dann könnte wohl auch der Urheberschutz für Frickes Wortschöpfungen bejaht werden. Diese Begründung müßte allerdings die rein formale Betrachtung aufgeben und sich über die inhaltliche Aussage des Werkes hinwegsetzen. Aber Leonardo da Vincis Mona Lisa ist ja auch nicht deswegen Kunst, weil sie lächelt.

 

*) Lao-Tse, zit. nach Günther Debon in Lao-Tse »Tao-Tê-King«, Stuttgart: Philip Reclam jun. Verlag, 1979, S. 18.
**) Marshall McLuhan, Die magischen Kanäle, Düsseldorf/Wien: Econ-Verlag, 1968, S. 79.
1) Der Begriff Rechtsportrait erscheint in einer doppelten Bedeutung: Er bringt zum Ausdruck, daß das Recht, will es zeitgenössische Kunst erfassen, diese Kunst als künstlerische Einzelposition erfassen muß. Der aus der Kunst geläufige Begriff des Portraits wird als Kurzbezeichnung einer juristischen Definitionsstrategie verwendet. Hierbei sind nicht nur die äußere Form und der Inhalt von Kunstwerken zu berücksichtigen, sondern ebenso die künstlerische Konzeption, also der kunstbegriffliche, theoretische Ansatz des jeweiligen Künstlers. Dies hat zur Folge, daß der Gleichheitsgrundsatz des Rechts auf einer anderen Ebene zur Wirkung kommt und nicht mehr rein formal (»jede Leinwand, auf die Farbe aufgetragen ist, ist Kunst«) oder inhaltlich im traditionellen Sinne (»jeder Gegenstand, der eine individuelle Prägung seines Schöpfers aufweist, ist Kunst«). Gleichzeitig ist dieser Text ein Portrait von Adib Fricke; das Portrait ist aus Rechtsbegriffen gebildet. Bildet man einen Künstler im Recht ab, kann die Abbildungsfunktion nicht durch ästhetische Darstellung erfüllt werden, sondern die Ähnlichkeit spiegelt sich in rechtlichen Kategorien wider, deren Schönheit sich in dem kunstfremden, aber dem dem Recht eigenen Prinzip der Effektivität (Rechtsschutz) zu zeigen hat. Diese Vorgehensweise der »Spiegelung« spiegelt auch das Prinzip der »Wortschöpfung«. Der Versuch, ein Wort, das keine Bedeutung hat, als Kunst rechtlich zu erfassen, es also unter Begriffen zu subsumieren, die es bereits gibt, schafft zwar keine neuen Rechtsworte, aber neue Bedeutungen und damit eine neue Rechtsprechung. Frickes Konzept erscheint, wie nicht anders zu erwarten, im Recht spiegelbildlich verkehrt.
2) Vgl. Ludwig Leiss, Kunst im Konflikt – Kunst und Künstler im Konflikt mit der »Obrigkeit«, 1971.
3) Vgl. Rspr zu Folterhilda, in Arthur Waldenberger, »Die Gestalt der Wörter«, The Word Company, Vol. III, Berlin: Edition Fricke & Schmid, 1997.
4) Vgl. Fromm/Nordemann, Urheberrecht, §2 Rn 1, 8. Aufl., 1994
5) Es lassen sich eine ganze Reihe literaturwissenschaftlicher Zeugnisse für die Akribie und Leidenschaft finden, mit der Schriftsteller für ihre Romanhelden Namen suchten, deren Klang und sprachliche Gestalt das ferne Schicksal ihres Helden offenbarten. Von Gustave Flaubert z.B. ist bekannt, daß er Emile Zola inständig beschwor, ihm die beiden Namen Bouvard und Pécuchet, die Zola für einen eigenen geplanten Roman verwenden wollte, abzutreten; siehe Pavel Florenskis 1923 bis 1926 geschriebenes Buch Namen, Berlin 1994, S. 7-8.
6) Zwar haben Namen auch eine symbolische Bedeutung, einen verweisenden Charakter, der sich aus den sogenannten Namenspatronen ableitet, dieser hat sich aber im Laufe der Geschichte erst durch die verschiedenen Träger dieser Namen entwickelt. Eine solche symbolische Zuordnung aus dem späteren Gebrauch ist – zumindest theoretisch – auch für Frickes Wörter nicht ausgeschlossen.
7) Zum künstlerischen System-Dialog vgl. z.B. Surfing Systems (Kasseler Kunstverein, Kassel 1996) und Kontext-Kunst (steirischer herbst ’93, Graz 1993).
8) In seiner Analyse der Namensgebung/-findung in der Literatur hat Florenski nachgewiesen, daß Namen im Kunstwerk derselben inneren Notwendigkeit gehorchen wie die Gestalten, die sie tragen; vgl. Pavel Florenski, a.a.O., S. 22-23: »Diese Gestalten sind nichts anderes als entfaltete Namen«, und »auch hier zeugt es von einem katastrophalen Unverständnis für die Kunst, wenn man jeden literarischen Namen, den Namen als solchen, für ein willkürliches, für ein subjektives, erfundenes, bedingtes Merkmal der Typen und künstlerischen Gestalten erklären wollte.«

 

Erschienen in: The Word Company, Volume III, Berlin 1997
© 1997 Christine Fuchs und Adib Fricke.